FOLGENZUSAMMENFASSUNG:
Diese Folge beleuchtet, wie systematische Irrationalität unser Handeln prägt – oft unbewusst. Du erfährst, warum wir nicht immer rational entscheiden, was Rationalität wirklich bedeutet und wie sie durch Methoden wie Nudging, Debiasing und Red Teaming verbessert werden kann. Praktische Ansätze helfen, besser und zielgerichteter zu handeln.
Du bist irrational. Ich auch. Wir sind alle irrational. In vielen Situationen ist das auch kein Problem. Aber es gibt immer wieder Situationen, in denen uns unsere Irrationalität in die Quere kommt und zu unserem Nachteil wird.
Bevor ich darauf näher eingehe, möchte ich dich in die glitzernde Welt des Silicon Valley entführen. Es ist eine Geschichte, die die Grenzen von Medizin und Technologie neu definieren sollte – und schließlich in einem spektakulären Zusammenbruch endete. Es ist die Geschichte von Theranos – und der Frau, die sich selbst zur Ikone machte: Elizabeth Holmes.
Elizabeth Holmes betrat die Bühne des Silicon Valley wie eine moderne Visionärin aus einem Märchen. Mit nur 19 Jahren, blond, makellos gekleidet und ihrem ikonischen schwarzen Rollkragenpullover à la Steve Jobs, strahlte sie Selbstbewusstsein und Charisma aus.
Ihre Botschaft? Revolution! Mit ihrer Firma Theranos wollte sie die Welt der Bluttests verändern: Ein Tropfen Blut aus der Fingerkuppe sollte reichen, um Hunderte von Krankheiten zu diagnostizieren – schnell, schmerzlos und erschwinglich. Ihre Geschichte klang so perfekt, dass kaum jemand Zweifel hegte.
Die Begeisterung wuchs, gestärkt durch ein mächtiges Netzwerk: Im Aufsichtsrat von Theranos saßen prominente Namen wie Henry Kissinger und George Shultz. Diese politischen Schwergewichte stärkten allein durch ihre Präsenz das Vertrauen der Öffentlichkeit.
Aber was wussten sie über Bluttests, Technik oder Medizin? Es spielte keine Rolle – Elizabeth Holmes hatte sie alle überzeugt: die Medien, die Märkte, die Welt.
Hinter den Kulissen von Theranos sah die Realität anders aus. Die angeblich revolutionäre Technologie funktionierte nicht. Wissenschaftler warnten, Mitarbeiter äußerten Zweifel – doch ihre Stimmen verhallten im Lärm der Euphorie. Niemand wollte genauer hinschauen. Niemand wollte glauben, dass die Vision der jungen Unternehmerin möglicherweise nicht das halten konnte, was sie versprach.
Die Geschichte war zu gut, um sie zu hinterfragen. Elizabeth Holmes verkörperte alles, was ein Silicon-Valley-Genie ausmacht: jung, klug, visionär. Doch – oder gerade deshalb – wurden die Warnzeichen von vielen übersehen.
Irgendwann fiel das Kartenhaus zusammen. Theranos existiert nicht mehr, und Elizabeth Holmes wurde am 18. November 2022 wegen Betrugs zu elf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.
Die Geschichte von Theranos und Elizabeth Holmes zeigt eindrücklich die Folgen irrationalen Handelns. Alle, die Holmes glaubten und investierten, handelten letztlich höchst irrational. Zwar ist der Schaden nicht immer so groß wie bei Theranos, doch wir als Unternehmer:innen sollten stets versuchen, rational zu denken und zu handeln. Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Wer wissen will, wie das gelingt, bleibt besser dran.🎧
Rational und irrational sind Begriffe, die wir im Alltag oft etwas unscharf verwenden. Deshalb werde ich dir zuerst kurz erklären, was ich genau unter irrational verstehe. Danach werde ich dir drei Methoden vorstellen, wie du im Alltag rationaler handeln kannst.
🎙️ In der nächsten Podcastfolge habe ich wieder einen Experten bei mir im Studio: Marko Kovic. Marko beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Rationalität und Verschwörungsmythen und hat selbst in diesem Bereich geforscht und publiziert. Aber jetzt fangen wir mal mit der Definition von Rationalität an.
💡Wir empfinden Rationalität im Allgemeinen als etwas sehr Positives. Wir sind auch davon überzeugt, dass wir selbst rational handeln. Irrational sind immer die anderen. Tatsächlich handeln wir alle immer wieder irrational. Das ist evolutionsbiologisch erklärbar und macht auch Sinn. Aber was genau ist irrational? Und warum ist das ein Problem?
Zuerst möchte ich kurz erklären, was Rationalität NICHT ist, da der Begriff sehr oft falsch verwendet und teilweise auch negativ interpretiert wird.
- Rationalität ist nicht Emotionslosigkeit. Wir können rationaler sein und trotzdem ganz normale soziale und emotionale Menschen bleiben.
- Rationalität ist nicht gleich Intelligenz. Auch sehr intelligente Menschen sind systematisch irrational. Intelligenz entspricht eher der Rechenleistung unseres Gehirns, während Rationalität die Qualität der Berechnungen bezeichnet.
- Rationalität ist nicht Klugscheißerei. Rational zu sein bedeutet nicht, möglichst viele Fakten zu kennen. Wer bei Günter Jauchs „Wer wird Millionär“ gut abschneidet, muss noch lange nicht sehr rational sein.
- Der Grad der Rationalität ist keine Eigenschaft einer bestimmten Gruppe von Menschen. Frauen wird oft unterstellt, weniger rational zu sein – das ist nicht nur falsch, sondern Ausdruck eines irrationalen Denkmusters, des Stereotype Bias.
Aber was IST Rationalität? Rationalität lässt sich in zwei Dimensionen beschreiben: epistemische Rationalität und instrumentelle Rationalität. Was damit gemeint ist, werde ich im nächsten Teil erläutern.
Rationalität kann also in zwei Dimensionen beschrieben werden: epistemische Rationalität und instrumentelle Rationalität. Das klingt kompliziert, ist es aber nicht.
💡 Epistemisch bedeutet so viel wie „auf Wissen bezogen“. Epistemische Rationalität hat also mit Wissen zu tun. Aber was genau ist „Wissen“ und woher kommt es? Oft wird Wissen mit Fakten gleichgesetzt. Doch Wissen hat auch eine subjektive Komponente, denn es basiert auf Überzeugungen.
Ein Beispiel: Die meisten Menschen sind überzeugt, dass die Erde rund ist. Dies wissen sie nicht aus ihrer täglichen Wahrnehmung, sondern weil sie es in der Kindheit gelernt haben. Gibt es gute Gründe dafür? Ja, viele! Wenn wir fliegen, sehen wir die Erdkrümmung, und auch eine Mondfinsternis zeigt die Rundung.
Ein falscher Glaube: Viele denken, das Gehirn teile sich in eine analytisch-logische linke und eine emotional-kreative rechte Hälfte. Doch die moderne Hirnforschung widerlegt diese überholte Vereinfachung – sie ist irrational.
Epistemisch rational handeln heißt: Eigene Überzeugungen zu hinterfragen und nach guten Gründen dafür und dagegen zu suchen.
Die zweite Dimension, die instrumentelle Rationalität, ist etwas einfacher zu verstehen. Hier geht es darum, so zu handeln, dass wir unsere Ziele erreichen.
Ein Beispiel:
Willst du von Zürich nach Basel reisen, aber kaufst ein Billett nach Lugano, ist das instrumentell irrational.
Buchst du jedoch das Ticket nach Basel, handelst du instrumentell rational.
Natürlich kann ich auch über Lugano nach Basel fahren und so mein Ziel erreichen. Aber das ist offensichtlich die schlechtere Lösung.
Instrumentelle Rationalität bedeutet also, den Nutzen zu maximieren bzw. den Aufwand zu minimieren.
Für die Reise im Beispiel habe ich die Möglichkeit, eine Fahrkarte erster oder zweiter Klasse zu kaufen. Beide Klassen sind im selben Zug, fahren zur selben Zeit, am selben Ort ab und kommen zur selben Zeit am selben Ziel an.
Wenn mir nur die Reise wichtig ist, ist es instrumentell irrational, den deutlich höheren Preis für die erste Klasse zu bezahlen.
Die zweite Klasse ist aber sehr oft voll und in den Abteilen gibt es kaum Tische, an denen man arbeiten kann.
In der ersten Klasse sind viel weniger Leute und es gibt immer ein Business-Abteil. Wenn ich die Stunde Fahrt nutzen kann, um zu arbeiten und Geld zu verdienen, dann kann es instrumentell rationaler sein, ein Ticket für die erste Klasse zu kaufen.
Wenn wir diese beiden Dimensionen zusammenfassen, können wir sie wie folgt beschreiben:
Rationalität ist die Fähigkeit, Ziele sinnvoll zu verfolgen und zu erreichen.
✔️ Sinnvoll meint hier nicht nur instrumentelle Rationalität, sondern schließt auch epistemische Rationalität ein.
Wenn wir gute Gründe für eine Entscheidung haben, diese also auf „Wissen“ beruht, hilft uns das, unser Ziel besser zu erreichen und damit den größtmöglichen Nutzen daraus zu ziehen. 💡
Was uns bei der Beurteilung von Situationen oft im Wege steht, ist die Ungewissheit.
Sehr oft wissen wir nicht, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ereignis eintritt. Sehr oft lassen wir uns dann von Fehlschlüssen in die Irre führen.
Und damit sind wir genau beim Thema Unternehmensführung. Einer der häufigsten Fehlschlüsse ist der Bestätigungsfehlschluss: Wir sehen bei einer Entscheidung nur die Argumente, die unsere Meinung bestätigen, und ignorieren oder übersehen die Argumente, die dagegen sprechen.
Andererseits gibt es auch Fehlschlüsse, die wir zu unseren Gunsten nutzen können. Diese werden sehr oft im Verkauf eingesetzt.
👉 Ein Beispiel ist die Verankerung: In Preisverhandlungen ist der erste genannte Preis der Anker. Viele Verkäufer nutzen das aus und nennen zuerst den Preis ihres teuersten Produktes – wohl wissend, dass sie es selten oder gar nicht verkaufen wollen. Damit verleiten sie den Käufer, sich für ein teureres Produkt zu entscheiden.
Dass dies auch eine manipulative Seite hat, liegt auf der Hand.
Eine ähnliche Taktik ist die Erzeugung von Knappheit:
„Nur noch 2 Stück auf Lager!“ Das begegnet uns in vielen Online-Shops. Aus rationaler Sicht sollte man sich davon nicht unter Druck setzen lassen. Die Ware ist sowieso ein bis zwei Wochen unterwegs – meistens können wir gut noch ein paar Wochen warten.
Ein weiterer häufiger Fehler ist der Überlebensfehler:
Er beschreibt unsere Tendenz, uns auf die Menschen oder Dinge zu konzentrieren, die eine bestimmte Situation überlebt haben, und dabei zu vergessen, auch die Dinge oder Menschen zu berücksichtigen, die nicht überlebt haben.
👉 Ein gutes Beispiel dafür sind die vielen Ratgeber, wie man Erfolg haben kann.
🔻 Das Problem: Diese schauen meist nur auf die erfolgreichen Unternehmer und übersehen, dass die Eigenschaften, die den Erfolg ausmachen sollen, oft auch bei den erfolglosen Menschen vorhanden sind.
👉 Ein konkretes Beispiel aus dem Unternehmeralltag:
Ich kenne Unternehmer, die bevorzugt Mitarbeiter mit bestimmten Hobbys einstellen, z. B. solche, die an Mannschafts- oder Ausdauerwettkämpfen teilnehmen, weil sie damit gute Erfahrungen gemacht haben. Sicher, wer aktiv Sport treibt, lebt oft gesünder und hat einen Ausgleich zum Beruf. Aber es gibt auch sehr zuverlässige Couch-Potatoes. Gleichzeitig gibt es erfolgreiche Sportler, die nach ihrer Karriere scheitern – wie Boris Becker.
Wir wissen also, dass wir alle irrational denken und handeln.
Nun könnten wir es dabei belassen und entweder Trübsal blasen oder die Tatsache ignorieren – oder wir tun etwas dagegen.
Die Forschung hat uns nämlich einige sehr gute Werkzeuge in die Hand gegeben, um rationaler zu denken und zu entscheiden:
Nudging, Debiasing und Red Teaming.
💡 Nudging ist eine Methode, die sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat und – nicht zu Unrecht – auch in die Kritik geraten ist.
Grund dafür ist, dass nicht versucht wird, Irrationalitäten zu ändern, sondern diese gezielt ausgenutzt werden, um Menschen zu besserem Verhalten zu bewegen.
👉 Ein gutes Beispiel, das sicher jeder Mann kennt, sind die Aufkleber in den Pissoirs, die uns dazu bringen sollen, an die richtige Stelle zu pinkeln – eine Maßnahme, die dazu führt, dass 80% weniger Urin auf dem Boden landet.
🔻 Nudging kann aber auch eingesetzt werden, um Menschen zu manipulieren und zu Handlungen zu bewegen, die ihnen rational schaden.
🔻 Nudging hat immer etwas Paternalistisches – letztlich entscheidet jemand anderes, was gut für mich ist und was nicht.
Das vorhin genannte Beispiel des Anchoring bei Preisverhandlungen ist genau so ein manipulativer Nudge.
💡 Wesentlich transparenter im Vergleich zum Nudging ist das Debiasing.
🔻 Debiasing zielt darauf ab, Irrationalität an der Wurzel zu bekämpfen.
🔻 Debiasing ist extrem nachhaltig, weil es die Art und Weise verändert, wie wir in bestimmten Situationen denken und handeln.
Leider ist es sehr mühsam und zeitaufwendig.
Der Kern von Debiasing ist Aufklärung und Training.
💡 Die dritte Variante ist Red Teaming. Red Teaming ist sehr praxisorientiert und relativ einfach umzusetzen. Red Teaming ist ein Ansatz, Entscheidungen, Prozesse und Strategien bewusst und systematisch zu hinterfragen, um blinde Flecken aufzudecken. Red Teaming ist in den letzten zwanzig Jahren entstanden und hat seinen Ursprung in Armeen und Geheimdiensten. Die Wurzeln reichen bis in die preußische Militärtradition zurück. In Kriegssimulationen wurden so genannte „Rote Teams“ eingeführt. Eine Partei am Verhandlungstisch übernahm die Rolle dieses roten Teams und versuchte, die Schwächen der eigenen Pläne aufzudecken. In der modernen militärischen Praxis werden sie seit dem Zweiten Weltkrieg mehr oder weniger erfolgreich eingesetzt.
🔻 Meistens wird Red Teaming mit Hilfe eines „Advocatus Diaboli“ durchgeführt. Dies ist eine Rolle im Team, die bewusst eine Gegenposition zur vorherrschenden Mehrheitsmeinung einnimmt und diese vertritt.
🔻 Red Teams können auch in Unternehmen eingesetzt werden. Eine Möglichkeit ist die Entwicklung und Überprüfung von Szenarien, eine andere ist ein „Kill your business“-Workshop oder eine Pre-Mortem-Analyse. Beim Pre-Mortem wird eine Art Katastrophe simuliert, indem möglichst viele Gründe und Umstände gesucht werden, warum ein Projekt scheitern könnte.
Im Allgemeinen kann Red Teaming als eine systematische Methode angesehen werden, um Denkfehler aufzudecken, indem sie offen angesprochen werden. Der
Nachteil von Red Teaming ist, dass es ein gewisses Maß an Debiasing erfordert, um effektiv zu sein. Ansonsten kann es schnell zu einer reinen Alibiübung werden.
Mittlerweile gibt es eine breite Palette von praktischen Nudging-, Debiasing- und Red Teaming-Techniken, die wissenschaftlich erforscht und belegt sind. Das Feld ist allerdings riesig. Inzwischen sind über 150 kognitive Verzerrungen bekannt und dokumentiert. Um diese Verzerrungen und die praktischen Werkzeuge zu ihrer Überwindung geht es in der nächsten Folge. 🎙️
Kurze Zusammenfassung der heutigen Folge:
- Wir Menschen sind alle systematisch irrational.
- Irrationalität bedeutet nicht emotionslos, dumm oder ungebildet zu sein. Sie ist auch nicht gruppenspezifisch.
- Rationalität hat zwei Dimensionen: epistemische Rationalität und instrumentelle Rationalität.
- Epistemisch rational sind wir, wenn wir gute Gründe haben, etwas zu glauben.
- Instrumentell rational sind wir, wenn wir nutzenmaximierend handeln.
- Rationalität kann durch Nudging, Debiasing oder Red Teaming verbessert werden. Alle drei Methoden haben ihre Vor- und Nachteile.
In der nächsten Folge geht es um Nudging, Debiasing und Red Teaming in der Praxis. Zu Gast im Podcast ist Marko Kovic. Er ist ein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet. Marko hat nicht nur zu diesem Thema geforscht. Er hat auch sehr viel praktische Erfahrung in der Umsetzung.
Ich freue mich, wenn du wieder dabei bist! 🎧
Auf jeden Fall wünsche ich dir viel Erfolg und Spaß in deinem Business. Bis zum nächsten Mal!