FOLGENZUSAMMENFASSUNG:
Familienunternehmen sind ein Erfolgsmodell – doch die Vermischung von Familie, Eigentum und Unternehmensführung birgt Herausforderungen. Diese Folge beleuchtet, wie das Drei-Kreise-Modell Klarheit schafft und Zielkonflikte löst. Erfahre, wie klare Strukturen und Regeln helfen, das Unternehmen langfristig erfolgreich zu führen und gleichzeitig den Familienfrieden zu wahren.
Stell dir vor, du bist Geschäftsführer:in eines mittelständischen Familienbetriebs. Du hast diese Position erst vor wenigen Monaten übernommen. Zuvor warst du in verschiedenen anderen Unternehmen in Führungspositionen tätig. Da du jetzt auf die 40 zugehst und eine Familie gegründet hast, hast du dich gefreut, als dein Vater dich gebeten hat, die Geschäftsführung zu übernehmen.
In den ersten Wochen deiner neuen Aufgabe hast du dich informiert und mit fast allen Mitarbeitenden gesprochen. Dein Führungsteam hat dich mehrheitlich gut aufgenommen und die Arbeit läuft bisher ganz gut. Gleichzeitig hast du aber auch klaren Handlungsbedarf festgestellt. Dein Onkel Georg ist in der Firma für das Marketing zuständig. Du magst ihn sehr – schließlich ist er auch dein Patenonkel. Aber mit seiner Aufgabe als Marketingleiter ist er offensichtlich überfordert. Das Marketing ist auf dem Stand von vor zwanzig Jahren stehen geblieben .
Auch der Einfluss der Aktionäre auf das operative Geschäft ist dir erst in den letzten Wochen aufgefallen. Immer wieder bekommst du gut gemeinte Ratschläge. Die Aktien befinden sich alle in Familienbesitz. Aber da das Unternehmen mit dir bereits in der vierten Generation geführt wird, sind es mittlerweile gut zwei Dutzend Personen, die Aktien halten. Dein Vater hat dich gewarnt, dass es nicht einfach wird. Als Präsident des Verwaltungsrates hat er nun etwas mehr Distanz zum operativen Geschäft und kann dir den Rücken freihalten. Trotzdem schränkt er deine Handlungsfreiheit stark ein. Dein Ziel ist es, das Unternehmen erfolgreich in die Zukunft zu führen. Viele Aktionäre wollen aber möglichst viel Dividende und haben das Gefühl, zu wenig zu bekommen. Ein Zielkonflikt, der schwer zu lösen ist. Wir sind ja eine Familie, und als Familie muss man zusammenhalten.
So oder so ähnlich sieht es in vielen Familienbetrieben aus. Vielleicht kennst du diese Situation sogar persönlich.
Wie würdest du damit umgehen? Gibt es überhaupt eine Lösung?
Genau darum geht es in dieser Folge meines Podcasts. Ich möchte dir ein paar Tools an die Hand geben, die dir helfen, dein Familienunternehmen auf ein neues Level zu heben und solche und ähnliche Zielkonflikte zu lösen.
Bevor ich dir die konkreten Werkzeuge vorstelle, möchte ich auch auf die Vorteile von Familienunternehmen eingehen.
In der Schweiz sind rund 90% aller Unternehmen in Familienbesitz. Rund ein Drittel der börsenkotierten Unternehmen sind Familienunternehmen und etwa 60% des BIP wird von Familienunternehmen erwirtschaftet.
Familienunternehmen sind also ein Erfolgsmodell.
Ihr Geheimnis lässt sich in wenigen Punkten zusammenfassen:
- Sie handeln und denken langfristig
- Sie haben eine starke Unternehmenskultur
- Sie übernehmen gesellschaftliche und soziale Verantwortung
- Sie haben starke persönliche Beziehungen zu ihren Mitarbeitenden
- Und sie haben einen sehr hohen Eigenfinanzierungsgrad
→ Das macht Familienunternehmen besonders krisenfest.
Ein bekanntes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist die Drogeriemarktkette Schlecker. Anton Schlecker, der Gründer des Unternehmens, übergab Anfang der 2000er Jahre die Verantwortung an seine beiden Kinder Lars und Meike. Beide konnten beeindruckende Studienabschlüsse vorweisen: Lars hatte an der European Business School in London studiert und einen MBA an der Steinbeis-Hochschule in Berlin erworben. Meike hatte an der renommierten IESE Business School in Barcelona Betriebswirtschaft studiert. Auf dem Papier schien alles perfekt: Der Nachwuchs war akademisch bestens vorbereitet.
Doch die Realität sah anders aus. Beide Schlecker-Kinder hatten kaum praktische Berufserfahrung außerhalb des elterlichen Unternehmens gesammelt. Lars hatte während der Dotcom-Blase kurz bei einem Start-up gearbeitet, bevor er ins Familienunternehmen zurückkehrte. Meike war direkt nach dem Studium in die Geschäftsführung eingestiegen. Ihr betriebswirtschaftliches Wissen stammte vor allem aus Büchern – echte Führungserfahrung fehlte.
Und das zeigte sich schnell. Während DM und Rossmann mit modernen Konzepten die Drogeriebranche revolutionierten, hielten Lars und Meike an veralteten Strukturen fest. Die Filialen blieben dunkel, das Einkaufserlebnis unattraktiv. Statt zu modernisieren, suchten die Schleckers ihr Heil in massiven Einsparungen.
Die Mitarbeiter litten unter dem harten Sparkurs und auch die Kunden spürten schnell, dass Service und Qualität bei Schlecker nachließen. Die einst so treue Kundschaft wandte sich ab. Die Medien machten die Missstände öffentlich und das Image der Marke Schlecker begann zu bröckeln.
Doch anstatt auf die Warnsignale zu reagieren, trafen Lars und Meike eine Reihe von Fehlentscheidungen, die das Unternehmen endgültig ins Chaos stürzten. Sie investierten weder in die Modernisierung der Filialen noch in die Anpassung an die veränderten Marktanforderungen. Stattdessen verschlossen sie sich notwendigen Veränderungen und setzten auf kurzfristige Sparmaßnahmen – eine Strategie, die langfristig zum Scheitern verurteilt war.
2012 kam der Zusammenbruch. Schlecker meldete Insolvenz an. Tausende Mitarbeiter verloren ihren Job, das einst so stolze Unternehmen verschwand vom Markt.
Die Schlecker-Tragödie zeigt, wie gefährlich es sein kann, Familie über Kompetenz zu stellen.
Blut mag dicker sein als Wasser, aber ohne die nötige Kompetenz und Weitsicht hilft auch die engste familiäre Bindung nicht, ein Unternehmen erfolgreich zu führen.
Betrachtet man die Herausforderungen von Familienunternehmen genauer, wird deutlich, dass es immer um die Mischung der drei wichtigsten Personengruppen geht: Mitarbeiter, Eigentümer und Familienmitglieder.
Die beiden Forscher Renato Tagiuri und John Davis von der Harvard Business School waren die ersten, die sich systematisch mit Familienunternehmen beschäftigt haben. Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit entwickelten sie das „Drei-Kreise-Modell des Familienunternehmens“. In diesem Modell geht es um die Klassifizierung der drei wichtigsten Personengruppen.
Das Modell zeigt drei voneinander abhängige und sich überschneidende Kreise: Familienmitglieder
Eigentümer
Mitarbeiter
Eine Person kann in einem, in zwei oder sogar in allen drei Kreisen vorkommen. Aufgrund der Überschneidungen gibt es sieben verschiedene Kombinationen, die jeweils eigene Interessen haben.
Wie kann uns das Modell nun helfen, ein Unternehmen besser zu führen? Klarheit schaffen: Wer gehört zu welchem Kreis und welche Interessen gibt es?
Klare Regeln aufstellen: Um Konflikte zu vermeiden, braucht es Strukturen.
Tagiuri und Davis haben herausgefunden, dass die erfolgreichsten Familienunternehmen diejenigen sind, die die Kreise klar unterscheiden, organisieren und trennen.
Jeder Kreis in einem gesunden Familienunternehmen sollte daher haben: Eine definierte Führungsperson
Einen Nachfolgeplan
Eine klare Prioritätenliste
Eine Definition von Fairness
Klare Verantwortlichkeiten
Getroffene Entscheidungen
Regelmäßige Treffen
Gerade die Entscheidungsfindung in den jeweiligen Kreisen könnte unterschiedlicher nicht sein. Wichtig ist, dass diese Prozesse konsequent umgesetzt werden, um das Unternehmen nachhaltig erfolgreich zu führen.
Um das Modell anwenden zu können, möchte ich die drei Kreise etwas genauer beschreiben.
Wir beginnen mit dem Kreis der Familie.
Die Familie gilt als kleinste Zelle unserer Gesellschaft und übersteht in der Regel auch große Krisen. In der Familie hält man zusammen, egal was passiert. Blut ist eben dicker als Wasser. Auch schwache Familienmitglieder werden unterstützt, und es ist selbstverständlich, dass man sich gegenseitig hilft.
Die Familie ist jedoch keine Leistungsgemeinschaft. Der Wert eines einzelnen Mitglieds hängt nicht von seiner Leistung ab. Im Familienunternehmen ist es wichtig, dass diese Prinzipien innerhalb der Familie konsequent gelebt werden, aber nicht als Maßstab für andere Kreise gelten.
Damit das funktioniert, empfehle ich regelmäßige Familientreffen, bei denen sich die Familienmitglieder – und nur sie – darüber austauschen, wie sie miteinander umgehen wollen.
Wer genau zur Familie gehört, ist eine der ersten Fragen, die geklärt werden müssen: Ab wann darf man an der Familienversammlung teilnehmen?
Wie geht man mit angeheirateten Familienmitgliedern um?
Ab welchem Alter können und sollen Kinder teilnehmen?
Vorrangiges Ziel der Familienversammlung ist es, die Beziehungen untereinander zu pflegen und Konflikte im Umgang miteinander zu lösen.
Die Familienversammlung dient auch dazu, alle Familienmitglieder über die aktuellen Prioritäten, Entscheidungen und Themen im Unternehmen und bei den Eigentümern des Familienunternehmens zu informieren.
Ich möchte an dieser Stelle nicht zu tief in das Format der Familienversammlung einsteigen, aber doch einige Punkte mit auf den Weg geben:
- In der Familie gilt „Family First“.
In der Familienversammlung sind alle gleichberechtigt. - Die Familienversammlung soll der Ort sein, an dem alle Mitglieder ihre Themen, Anliegen und Sorgen einbringen können.
Im Idealfall findet die Familienversammlung einmal wöchentlich bis einmal monatlich statt. - Die Familienversammlung trifft nur Familienentscheidungen. Sie ist nicht befugt, Unternehmensentscheidungen zu treffen.
- Die Familienversammlung legt die zentralen Werte für die Familie und das Unternehmen fest.
- Die Familienversammlung kann festlegen, ob und in welchem Umfang Familienmitglieder Anspruch auf eine Anstellung im Unternehmen haben.
→ Wichtig ist, dass nur über das grundsätzliche Recht entschieden wird – nicht über einzelne Positionen.
In Ausnahmefällen können auch Mitglieder anderer Kreise an der Familienversammlung teilnehmen, insbesondere wenn es um den Informationsfluss geht.
Ansonsten ist die Familienversammlung jedoch ausschließlich den definierten Familienmitgliedern zugänglich.
Gleichzeitig kann die Familienversammlung keine Entscheidungen überstimmen, die den anderen Kreisen zugewiesen sind – zum Beispiel Personalentscheidungen im Unternehmen.
Den zweiten Kreis bilden die Eigentümer. Mitglieder dieses Kreises sind alle Anteilseigner oder Anteilseignervertreter des Unternehmens. Das können Familienmitglieder, Mitarbeiter des Unternehmens oder auch externe Anteilseigner sein.
Auch die Eigentümer brauchen klare Regeln und regelmäßige Treffen. Das Gesetz räumt den Eigentümern eines Unternehmens nur wenige Mitwirkungsrechte ein. Gemäß Obligationenrecht haben Aktionäre zwei Rechte: Teilnahme an der Generalversammlung
Stimm- und Wahlrecht
Hinzu kommt das Informationsrecht, also das Recht auf Einsicht in den Geschäftsbericht.
Die Erfahrung zeigt, dass diese Rechte in KMU und Familienunternehmen oft nicht ausreichen. Es lohnt sich, weitere Informations- und Entscheidungsrechte einzuführen und regelmäßige Eigentümerversammlungen durchzuführen.
Die Eigentümerversammlung sollte idealerweise einmal im Monat stattfinden. Sie dauert etwa zwei Stunden. Die Tagesordnung sollte sowohl Familienangelegenheiten, die das Unternehmen betreffen, als auch Unternehmensangelegenheiten, die die Familie betreffen beinhalten.
Die Eigentümerversammlung hilft, Konflikte außerhalb des Unternehmens zu lösen und im Unternehmen geschlossen aufzutreten. Besonders wichtig ist dies, wenn mehrere Familienmitglieder operativ tätig sind.
Wichtig: Die Gesellschafterversammlung sollte keine individuellen Personalentscheidungen treffen. Die einzige Ausnahme ist der oder die Geschäftsführer:in.
Der dritte und letzte Kreis sind die Mitarbeiter
Dieser Kreis umfasst alle Personen, die im operativen Geschäft des Unternehmens tätig sind, unabhängig davon, ob sie auch Eigentümer und/oder Familienangehörige sind. Hier gilt: Business First.
„Right People, Right Seat“ – das bedeutet, die richtigen Leute an den richtigen Stellen einzusetzen. Familienzugehörigkeit oder Besitzverhältnisse sind keine Qualifikationskriterien. Entscheidend sind kulturelle Passung und Leistung.
Beispiel Onkel Georg: In der ersten Geschichte hätte er seine Position als Marketingleiter aufgeben müssen.
Im Kreis der Mitarbeiter gibt es kein Vetorecht von Familienmitgliedern. Es handelt sich um eine hierarchische Organisation, in der Entscheidungen im Konsens getroffen werden.
Jeder kann entlassen werden, unabhängig von Eigentum oder Familienzugehörigkeit. Diese Entscheidung liegt letztlich beim operativen Geschäftsführer.
Diese letzte Regelung ist oft die schwierigste. Sie muss allen Eigentümern und Familienmitgliedern klar sein. Doch sie ist entscheidend für den langfristigen Erfolg des Unternehmens.
Ich erinnere mich noch gut an ein Unternehmen, das ich über mehrere Jahre begleitet habe. Es wurde von zwei Brüdern gegründet. Der eine war ein Top-Verkäufer und ein großartiger Netzwerker. Er war lange Zeit Marketing- und Verkaufsleiter. Leider war er ein schlechter Manager.
Er war nicht in der Lage, Strukturen im Team aufzubauen. Er konnte sein Wissen und seine Verkaufsmethode nicht an die Mitarbeitenden weitergeben. Es dauerte mehrere Jahre, bis die beiden Brüder erkannten, dass er für den nächsten Wachstumsschritt der falsche Mann an der Spitze der Marketing- und Verkaufsabteilung war.
Das Drei-Kreise-Modell hat sich besonders für kleine und mittlere Unternehmen bewährt. Es schafft Klarheit, Ruhe und Stabilität – sowohl in der Familie als auch im Unternehmen.
Für größere Familienunternehmen mit Investoren und mehr Familienmitgliedern im Familienkreis ist das Modell oft zu starr. Eine bessere Lösung bietet das Vier-Räume-Modell von Josh Baron und Rob Lachenauer:
Vier Räume des Familienunternehmens: Der Familien-Raum
Der Eigentümer-Raum
Der Board-Raum
Der Management-Raum
In jedem Raum muss definiert sein: Wer ihn betreten darf
Welche Entscheidungen dort getroffen werden
Wer die Entscheidungsinstanz ist
Welche typischen Gremien und Versammlungen abgehalten werden
Ich habe dazu auch eine Tabelle auf meiner Website eingefügt.
Da das «Vier-Raum-Modell» wesentlich komplexer und eher für große Familienunternehmen geeignet ist, werde ich hier nicht weiter darauf eingehen. Wer sich dafür interessiert, dem empfehle ich das «Family Business Handbook» von Josh Baron und Rob Lachenauer.
Zum Abschluss dieser Folge wie immer eine kurze Zusammenfassung:
- Familienunternehmen sind eindeutig ein Erfolgsmodell, und zwar weltweit.
- Ihre Stärken bergen aber auch spezifische Risiken, besonders wenn Familienmitglieder in Unternehmensentscheidungen eingreifen.
- Eine Möglichkeit, diese Risiken zu reduzieren, ist eine klare Trennung zwischen den drei Kreisen: Familie, Eigentümer und Mitarbeiter.
- Klare Regelungen und deren konsequente Einhaltung sorgen für Stabilität in Unternehmen & Familie.
- Unternehmerfamilien sollten nach dem Leitmotiv „Family First“ und im Unternehmen nach „Business First“ handeln.
- Für große Familienunternehmen reicht das Drei-Kreise-Modell oft nicht aus – hier hilft das Vier-Kreise-Modell.
Buchempfehlungen für alle, die tiefer eintauchen möchten:
- „Führung von Familienunternehmen“ von Dr. Alexander Koeberle-Schmid & Prof. Dr. Bernd Grottel
- „How Three Circles Changed the Way We Understand Family Business“ von John Davi
- „Family Business Handbook“ von Josh Baron & Rob Lachenauer
In der nächsten Folge stelle ich eines der wichtigsten Führungskonzepte vor: Radical Candor von Kim Scott. Ich freue mich, wenn du wieder dabei bist!