FOLGENZUSAMMENFASSUNG:
In diesem Interview teilt Steven Huck seine Erfahrungen aus der Automobilindustrie, der Königsklasse der Prozessoptimierung. Er spricht über Lean-Management, Qualitätsmanagement und die Herausforderungen bei KMUs. Steven erklärt seine Methoden, zeigt Lösungen für komplexe Probleme auf und gibt Einblicke, wann Unternehmen von professioneller Prozessoptimierung profitieren können. Inspirierende Praxis-Tipps inklusive!
Chris: In den ersten drei Folgen dieser Serie zum Thema Prozessoptimierung, Theory of Constraints und kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) habe ich die wichtigsten Konzepte und Methoden vorgestellt. Ein Bereich, auf den ich bisher nicht detailliert eingegangen bin, ist die Prozessoptimierung direkt vor Ort. Diese Disziplin erfordert viel Erfahrung und Fachwissen. Deshalb habe ich heute jemanden eingeladen, der sich über Jahre hinweg mit nichts anderem beschäftigt hat – und zwar in der Königsklasse der Prozessoptimierung, der Automobilindustrie. Bei mir ist heute Steven Huck. Herzlich willkommen im Podcast, Steven!
Steven: Hallo Chris, vielen Dank, dass ich dabei sein darf.
Chris: Steven, du bist in Deutschland aufgewachsen und hast eine Ausbildung als Mechatroniker bei Daimler absolviert, wo du erste Erfahrungen im Qualitäts- und Lean-Management gesammelt hast. Während deines Studiums an der Hochschule Karlsruhe in Industrial Engineering hast du ein Praktikum in den USA gemacht und mit einer Spezialisierung auf Produktionsmanagement abgeschlossen. Nach deinem Studium bist du zu Daimler zurückgekehrt, wo du in verschiedenen Bereichen gearbeitet, Lean-Projekte umgesetzt und Lieferantenaudits durchgeführt hast. 2022 hast du deinen Job gekündigt, bist in die Schweiz gezogen und hast dich mit deinem Unternehmen HWP Consulting selbstständig gemacht. Dort optimierst du erfolgreich die Prozesse von KMUs in Deutschland und der Schweiz.
Daimler ist für viele mehr als nur ein Job – es ist oft eine Lebensentscheidung. Was hat dich dazu bewegt, den sicheren Arbeitsplatz dort aufzugeben?
Steven: Die Entscheidung fiel mir alles andere als leicht und hat mir so manche schlaflose Nacht bereitet. Mein Großvater war bei Daimler, mein Vater ebenfalls – es war also fast Familientradition. Letztlich hat aber der Wunsch, in die Schweiz zu ziehen, überwogen. Ich wusste, dass sich beides nicht vereinbaren lässt. Mir wurde klar, dass ich eher den Sprung ins Neue wagen wollte, als meine Träume aufzugeben – denn das hätte ich mir ein Leben lang vorgeworfen. Zudem haben große Konzerne oft starre Strukturen, und ich wollte einfach eine neue Herausforderung suchen.
Chris: Was hat dich an der Schweiz so fasziniert?
Steven: Während meines Studiums habe ich Freunde aus der Schweiz kennengelernt. Bei meinen Besuchen habe ich die Lebensqualität dort zu schätzen gelernt – es ist nicht alles besser, aber vieles ruhiger und die Menschen sind oft freundlicher. Das fällt mir immer besonders auf, wenn ich nach Deutschland zurückkomme. Auch die Natur hier ist einfach wunderschön.
Chris: Geografisch gesehen ist der Schritt von Karlsruhe oder Gaggenau – wo du bei Daimler warst – gar nicht so weit. Zwei bis drei Stunden Fahrt, und man ist in der Schweiz. Du hast in der Automobilindustrie gearbeitet, die oft als Königsklasse der Prozessoptimierung bezeichnet wird. Warum ist das so?
Steven: Das hat historische Gründe. Die Lean-Management-Philosophie stammt ursprünglich von Toyota. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste Toyota effizienter werden, um global konkurrenzfähig zu bleiben. Sie entwickelten ein System, das Ressourcen optimal nutzte und Kosten senkte. In der Automobilindustrie – wo es um immense Summen geht und sogar Stillstandsminuten hohe Kosten verursachen – haben sich solche Konzepte besonders bewährt. Eine kleine Verbesserung von einem Prozent kann hier bereits erhebliche Auswirkungen haben.
Chris: Also war nicht die deutsche, sondern die japanische Autoindustrie der Vorreiter im Lean-Management?
Steven: Genau, die Lean-Philosophie wurde von Toyota entwickelt. Andere Unternehmen haben sie übernommen und weiterentwickelt, aber Toyota hat den ersten Impuls gegeben.
Chris: Warum hast du dich eigentlich für Prozessoptimierung entschieden? Als Ingenieur hättest du auch in die Entwicklung gehen können.
Steven: Das Interesse entstand während meiner Ausbildung, als wir einen Lean-Management-Workshop hatten. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich später in meinem Studium Produktionsmanagement als Schwerpunkt wählte. Die Optimierung von Prozessen fand ich schon immer faszinierend. Im Qualitätsmanagement bin ich dann eher zufällig gelandet, weil Stellen ausgeschrieben waren, die spannend klangen. Dort habe ich viel gelernt, etwa durch Prozessaudits nach VDA 6.3 und 6.7.
Chris: Welche Rolle spielte die Arbeit mit Lieferanten dabei?
Steven: Als Lieferantenauditor ging es primär darum, Risiken zu identifizieren und sicherzustellen, dass unsere Projekte nicht scheitern. Lean-Management kam dann in anderen Projekten ins Spiel, etwa bei meiner Bachelorarbeit, in der ich mich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt habe.
Chris: Die Arbeit mit Lieferanten ist also eng mit der Qualität und Effizienz ihrer Prozesse verknüpft. Gab es ein Schlüsselerlebnis, das deine Begeisterung für Prozessoptimierung geweckt hat?
Steven: Ja, in meiner Ausbildung hatten wir einen Workshop, in dem wir Prozesse verbessern sollten. Durch kleine Anpassungen, wie das Hinzufügen einer ergonomischen Halterung, konnten wir die Produktivität massiv steigern. Das hat mir gezeigt, wie viel selbst kleine Verbesserungen bewirken können.
Chris: Das klingt spannend! Wir sprechen gleich weiter über konkrete Methoden und Herausforderungen bei deiner Arbeit.
Chris: Warum hast du dich entschieden, in die Prozessoptimierung zu wechseln, statt in der Automobilindustrie zu bleiben?
Steven: Der Wechsel kam vor allem durch den Wunsch nach einer neuen Herausforderung. Bei Daimler war vieles schon vorstrukturiert, und es gab große Budgets, um Projekte umzusetzen. In KMUs hingegen ist die Arbeit facettenreicher. Man muss oft mit begrenzten Mitteln kreativ werden, etwa anstelle eines automatischen Förderbands eine günstigere Lösung wie ein geneigtes Rollenband zu verwenden.
Chris: Das heißt, du suchst immer nach einer Balance zwischen Effizienz und Kosten?
Steven: Genau. Und Effizienz hängt eng mit der Fehlerquote zusammen. Wenn Fehler entstehen, führen sie zu Nacharbeit, höheren Kosten und längeren Durchlaufzeiten. Es gibt acht klassische Verschwendungsarten, die wir analysieren: Produktionsfehler, Wartezeiten, unnötige Prozesse, unnötige Bewegungen, unnötige Transporte, zu hohe Bestände, Überproduktion und ungenutztes Mitarbeiterwissen. Jede dieser Arten beeinträchtigt die Effizienz.
Chris: Du hast Überproduktion erwähnt. Beziehst du dich dabei auf fertige Produkte oder auch auf Halbfabrikate?
Steven: Beides. Ein Beispiel: Wenn Station 1 zu viel produziert und Station 2 einen Fehler feststellt, hat man nicht nur 100 fehlerhafte Teile, sondern auch unnötige Bestände, die Kapital binden, ohne einen Mehrwert zu schaffen.
Chris: Das erinnert mich an das Beispiel, das ich in der ersten Folge erwähnt habe, wo ein Unternehmen Halbfabrikate in einem teuren Ofen produzierte und diese dann überall stapelte, weil sie die Kundenanforderungen nicht erfüllen konnten.
Steven: Genau das zeigt den Unterschied zwischen Ressourceneffizienz – jede Maschine läuft auf Hochtouren – und Flusseffizienz, also wie schnell ein Produkt durch den Prozess kommt. Letzteres ist entscheidend, denn nur ein durchgängiger Fluss schafft echten Mehrwert.
Chris: Wie gehst du konkret vor, wenn du in ein Unternehmen kommst, um Prozesse zu optimieren?
Steven: Der erste Schritt ist die sogenannte Prozessanalyse. Dabei kombiniere ich Elemente aus Audits und Lean-Methoden. Zuerst schaue ich mir die Abläufe im Unternehmen an: Wie kommen die Aufträge rein, wie werden sie bearbeitet, wie sieht der Produktionsfluss aus? Parallel schule ich die Mitarbeitenden zu den Verschwendungsarten, damit wir gemeinsam Optimierungspotenziale erkennen. Danach stelle ich die Ergebnisse vor, priorisiere mit dem Kunden die Maßnahmen und wir entscheiden, welche Projekte als Erstes umgesetzt werden sollen.
Chris: Begleitest du diese Projekte dann weiter?
Steven: Ja, in unterschiedlichen Formen. Der Kunde kann die Maßnahmen selbstständig umsetzen, ich begleite ihn beratend oder übernehme die komplette Projektleitung. Ein Vorteil eines externen Beraters ist, dass er keine Betriebsblindheit hat und Deadlines konsequenter einhält, als man es intern oft tut.
Chris: Und du musst keine internen Befindlichkeiten berücksichtigen. Du kannst unbequeme Fragen stellen, die sich andere vielleicht nicht trauen.
Steven: Absolut. Oft kommen in solchen Gesprächen Ideen ans Licht, die Mitarbeitende schon lange hatten, die aber nie umgesetzt wurden. Meine Aufgabe ist es, diese Ideen aufzugreifen, Hindernisse zu beseitigen und die Umsetzung zu ermöglichen.
Chris: Viele KMUs haben keine Prozessdokumentation. Kannst du trotzdem mit deiner Arbeit beginnen?
Steven: Natürlich. Jeder hat Prozesse, auch wenn sie nicht dokumentiert sind. Die Frage ist, ob sie gut funktionieren. In solchen Fällen fange ich oft mit einer einfachen Wertstromanalyse an: Ich zeichne den aktuellen Prozess und identifiziere Engpässe und Potenziale. Eine schriftliche Dokumentation kann später helfen, Fehlerquellen zu analysieren und nachhaltige Verbesserungen sicherzustellen.
Chris: Was sind die größten Herausforderungen, denen du in Projekten begegnest?
Steven: Der größte Stolperstein ist Widerstand von Mitarbeitenden. Veränderungen werden oft als unnötig oder bedrohlich empfunden. Deshalb ist es wichtig, die Mitarbeitenden früh einzubinden und ihnen den Sinn hinter den Änderungen zu erklären. Wenn sie verstehen, warum etwas verändert wird, sind sie viel eher bereit, mitzumachen.
Chris: Gab es Situationen, in denen Widerstand vom mittleren Management kam?
Steven: Zum Glück nicht direkt. Meistens finden Projekte nur statt, wenn die Leitung dahintersteht. Aber Vertrauen ist essenziell, denn Fortschritte brauchen Zeit. Es kann sogar kurzfristig zu einer Verschlechterung kommen, bevor sich die Vorteile zeigen.
Chris: Was ist realistischerweise möglich, wenn ein Unternehmen dich engagiert?
Steven: Im Lean-Management spricht man von Verbesserungen von bis zu 30 Prozent hinsichtlich Kostenreduktion oder Output. Wichtig ist, dass die Umsetzung nachhaltig erfolgt. Nach dem Projekt sollte jemand im Unternehmen die neuen Prozesse überwachen, um sicherzustellen, dass sie eingehalten und bei Bedarf weiterentwickelt werden.
Chris: Gibt es Unternehmen, die von dir nichts mehr lernen konnten?
Steven: Nein, bisher konnte ich immer einen Mehrwert schaffen, auch wenn die erzielten Verbesserungen manchmal kleiner waren, als man sich vielleicht erhofft hatte. Oft reicht es schon, einen Perspektivwechsel anzustoßen, der später zu größeren Fortschritten führt.
Chris: Was rätst du Unternehmen, die über eine Optimierung nachdenken?
Steven: Der erste Schritt ist, ehrlich zu sich selbst zu sein. Gibt es Potenziale, die man bislang übersehen hat? Eine einfache Maßnahme ist, die Verschwendungsarten zu analysieren. Diese Übung kann bereits erste Erkenntnisse liefern.
Chris: Wie läuft die Zusammenarbeit mit dir ab?
Steven: Der erste Schritt ist ein kostenloses Erstgespräch, um den Bedarf zu ermitteln und herauszufinden, ob die Zusammenarbeit passt. Danach folgt die Prozessanalyse, aus der konkrete Maßnahmen abgeleitet werden. Der Kunde entscheidet dann, ob er diese selbstständig umsetzt oder ich ihn weiter begleite.
Chris: Vielen Dank, Steven, für die spannenden Einblicke und deinen praxisnahen Ansatz. Gibt es etwas, das du unseren Hörerinnen und Hörern mitgeben möchtest?
Steven: Mein wichtigster Rat ist Offenheit. Niemand ist perfekt, und es gibt immer Raum für Verbesserungen. Wer bereit ist, ehrlich auf die eigenen Prozesse zu schauen, hat schon den ersten Schritt gemacht.
Chris: Ein schönes Schlusswort. Vielen Dank, dass du heute bei uns warst, und weiterhin viel Erfolg!
Steven: Vielen Dank, Chris, es hat mir großen Spaß gemacht.
Chris: Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ich hoffe, diese Folge hat euch inspiriert. Die wichtigsten Punkte aus dem Gespräch möchte ich noch einmal zusammenfassen:
- Die acht Verschwendungsarten – ein grundlegender Ansatzpunkt für jede Prozessoptimierung.
- Die systematische Herangehensweise, von der Prozessanalyse bis zur Umsetzung.
- Die Erkenntnis, dass Prozessoptimierung selbst ein Prozess ist, der Geduld und Kontinuität erfordert.
Damit schließen wir diese Serie über Prozessoptimierung ab. In der nächsten Folge widmen wir uns einem ganz anderen, aber ebenso wichtigen Thema: Wie trennt man sich respektvoll und professionell von Mitarbeitenden? Ich freue mich, wenn ihr wieder dabei seid. Bis bald!